Freitag, 31. Dezember 2010

WikiLeaks & die Micky-Mouse-Welt des SPIEGEL

Die aktuelle "Cable-Gate"-Story von WikiLeaks ist ja nun schon ein paar Tage in der öffentlichen Diskussion. Zur Einschätzung des Wertes der Enthüllungen von WikiLeaks gehören auch Überlegungen zum Wahrheitsgehalt. Darüber habe ich bislang im Mainstreamfernsehen noch von keinem deutschen Journalisten Kritisches gehört. Erst der Deutschland-Korrespondent von Al Jazeera, Herr Aktham Suliman, wies grade im Internationalen Frühschoppen der ARD darauf hin (kann man auf YouTube nachsehen), dass man aufgeflogene Spione gemeinhin mit manipulierten oder Falschinformationen füttert. In diesem Sinne ist WikiLeaks und sind seine Informanten, die sog. Whistleblower, quasi wie enttarnte Spione. Es bestehe also eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass WikiLeaks von US-Geheimdiensten gezielt mit falschen oder zumindest in bestimmter Hinsicht ausgewählten Informationen gefüttert werde, um internationale Politik im Sinne der Geheimdienste zu manipulieren und/oder um WikiLeaks als zentrales Whistleblower-Portal international aufzubauen. Denn es ist nun eigentlich so gut wie Konsens, dass die Informationen nicht wirklich schädlich sind für die US-Politik, sondern zum grossen Teil aus Klatsch & Tratsch bestehen (Der SPIEGEL bauscht es auf, wie seinerzeit der STERN die angeblichen Hitler-Tagebücher). Herr Sulimann sagte in obiger Runde auch, dass die eigentliche Politik von den Geheimdiensten gemacht werde und wer glaube, das Weltpolitik auf der Basis irgendwelcher Botschafterbemerkungen gemacht werde, lebe in einer Micky Mouse Welt.

Zu hören war kürzlich auch die Forderung eines deutschen Politikers, das ganze Botschaftersystem abzuschaffen, weil es nicht mehr zeitgemäss sei, denn die Regierungschefs würden heute alle direkt miteinander telefonieren. Womöglich sind die Cablegate-Enthüllugen auf Wikileaks genau dafür gedacht: Das Botschaftersystem diskreditieren und deren Abschaffung bewirken, damit die Geheimdienste als einzige Mittler zwischen den Ländern und Politikern noch exklusiver die Weltpolitik gestalten können.

Wenn ich es auf WikiLeaks richtig gesehen habe, gibt es dort eine Statistik über die Menge der Berichte pro Land/Region/Stadt. Demnach hat WikiLeaks einige "Cables" über oder aus Mallorca und den Kanarischen Inseln zugespielt bekommen, aber nichts (in Worten: Null Informationen) aus und über Kuba oder Havanna. Das sagt doch eigentlich schon fast alles. Im Übrigen macht eine solche Statistik wenig Sinn, denn sie sagt ja nur etwas über die Menge der WikiLeaks zugespielten Berichte aus, nichts aber über die Menge der tatsächlich von US-Behörden erstellten Berichte.

Ein US-Journalist in o.g. TV-Runde wies nochmal darauf hin, wenn man was bekommen/erreichen will, muss man vorher meist etwas geben. Also die geheimen, aber belanglosen Informationen aus den Botschaften, als Bauernopfer, als Gabe, und dafür bekommt der Geber womöglich manipulierte Politiker und macht WikiLeaks gezielt als DIE internationale Enthüllungsplattform weltweit bekannt. Wenn dann dort bald Enthüllungen über China, Iran und Nordkorea auftauchen, dann werden diese Berichte von sehr vielen Menschen auf dem ganzen Globus geglaubt, weil WikiLeaks zuvor vermeintlich auch immer wieder die USA kritisiert hatte.

In dem Zusammenhang ist beispielsweise interessant und im deutschen Radio und Fernsehen nicht thematisiert worden, dass das vor einigen Monaten auf WikiLeaks publizierte Hubschrauber-Massaker-Video aus dem Irak, bei dem auch zwei westliche Journalisten umkamen, ohnehin per Gerichtsbeschluss kurz danach vom US-Militär herausgegeben werden sollte, nachdem die Angehörigen der getöteten Journalisten geklagt hatten. Warum sollte ein Whistleblower im Militär ein Video an WikiLeaks schicken, das vom Militär ohnehin bald heraus gegeben werden soll?

Mit der scheinbar whistleblowerischen Veröffentlichung des Videos auf WikiLeaks könnte aber das Militär selbst Pluspunkte für sich verbucht haben:
Es umgeht die Niederlage vor Gericht und demütigt die Kläger durch Vorabveröffentlichung, es verschafft sich das Image, sich von niemandem (schon gar nicht von Zivilisten) zu irgend etwas zwingen zu lassen und über eigenständige, "heroische", demokratische Kräfte in den eigenen Reihen zu verfügen, die als "Einzeltäter" eben leider auch schon mal gegen den eigenen Apparat agieren, was aber immer noch besser ist, als wenn Kräfte von aussen dem Militär an den Karren fahren. Und last but not least wird mit solchen Aktionen WikiLeaks als vermeintlich USA-kritische, also vermeintlich glaubwürdige Whistleblower-Zentrale aufgebaut, weil weltweit bekannt und berühmt gemacht. Wenn also dort bald Enthüllungen über China, Iran und Nordkorea auftauchen, wissen wir was wohl gespielt wird.
Der SPIEGEL macht wie alle anderen deutschen und die meisten ausländischen Journalisten und Politiker bei der ganzen Inszenierung mit, indem er den Klatsch & Tratsch als Sensation aufbauscht.
Sonst ist die deutsche Journaille sehr knauserig mit der Verlinkung zu Originalquellen und mit Erklärungen wie und wo sie was von wem erfahren hat, aber nun erklärt uns der SPIEGEL ausführlich was die kryptischen Kopfzeilen der "Kabel-Berichte" genau zu bedeuten haben - je egaler Informationen sind, desto ausführlicher erklärt man sie uns. Und die Leser denken: Wow, was sind die Spiegelleute doch für tolle Hechte, was die alles wissen, denen macht keiner ein X für ein U vor. Der SPIEGEL arbeitet selbstverständlich mit den Geheimdiensten zusammen, was veröffentlicht wird, ist als entsprechend gefiltert. Wie sagte die MONITOR-Matrone Sonja Seymour-Mikich in o.g. TV-Runde: Wir Journalisten sind die "Gatekeeper". Türsteher, die immer mehr zu "Bouncern" mutieren (oder treffender: degenerieren): also zu Rausschmeissern.